Einführung
Wer hätte das gedacht, dass man für RISC OS-Rechner mal einen Einkaufsführer braucht. In den 80ern und 90ern war klar: teurer ist besser, und zwar in jeder Beziehung. Und meist hatte Acorn auch nur wenige Rechner parallel im Angebot, so dass Entscheidungshilfen meist überflüssig waren.
Aber jetzt ist alles neu, dank der Öffnung des Quellcodes von RISC OS 5 und vielen fleißigen Händen läuft unser allerliebstes Betriebssystem auf einer ganzen Menge Hardware. Hier der aktuelle Überblick.
Preise sind Momentaufnahmen von Reichelt, Watterott, Amazon. Nicht alle Features der Boards werden detailliert besprochen, wenn sie unter RISC OS nicht nutzbar sind (z.B. die DSPs bei den TI-Cores, Video-Encoding/Decoding-Funktionen etc.).
Den Raspberry Pi Zero habe ich bewusst ausgespart, da er bis heute nicht in vernünftigen Stückzahlen den deutschen Markt erreicht, so dass man tatsächlich mal ohne langfristige Vorbestellung zuschlagen könnte.
Wer an Benchmarks interessiert ist, wird hier fündig. Nicht besonders übersichtlich und nicht immer aussagekräftig – möglicherweise werde ich da mal eigene Messungen durchführen mit Real-World-Benchmarks – da habe ich schon früher große Erfolge gefeiert.
Raspberry Pi (1)
Der Übersichtlichkeit halber: ich betrachte nur das Modell Raspberry Pi B+.
ARM11 (BCM2835 von Broadcom, ARMv6), 700 MHz, 512 MiB RAM, 100 MBit/s Ethernet (intern über USB angebunden), microSD-Card, Massenspeicher über USB, Video und ggf. Sound über HDMI, zusätzlich noch ein FBAS-Videoausgang (nur über ein 4pol-Miniklinke-Spezialkabel erreichbar), jede Menge I/O-Pins. Derzeitiger Preis: 30€. Für ein Komplettsystem fehlt dann noch ein microUSB-Netzteil, eine microSD-Karte und ein Gehäuse. Je nach Qualitätsanspruch landet man so bei etwas über 50€, mehr geht natürlich immer.
Nachdem die großen Brüder Raspberry Pi 2 B und 3 B(+) nur wenig teurer ist, stellt sich natürlich die Frage, was denn überhaupt noch für „das Original“ spricht. Die Antwort ist RISC OS-spezifisch: Rückwärtskompatibilität, und verhältnismäßig geringer Performancenachteil. Ersteres, weil der ARM11 noch eine ARMv6-Architektur hat und im ARMv5-Kompatibilitätsmodus betrieben werden kann (unter anderem wird dadurch das „alte“ Verhalten bei den rotated loads bei unaligned addresses wieder wirksam), was ihn ohne weitere Umstände (wie z.B. Aemulor) weitestgehend kompatibel zu jeder IYONIX-Software macht. Zweiteres, weil RISC OS auf den späteren Modellen nur einen von vier CPU-Cores nutzen kann. So schrumpft der Performancenachteil gegenüber dem 2 B auf vielleicht 30-50% im Realbetrieb. Und die RPi 3-Goodies wie WLAN und Bluetooth sowie der größere Speicher sind unter RISC OS nicht nutzbar oder eher unwichtig. Erst beim 3 B+ sorgt das Gigabit-Ethernet trotz Schmalspur-Anbindung für einen echten Performancevorteil im I/O-Bereich.
Raspberry Pi 2
Auch hier: ich betrachte nur das Modell Raspberry Pi 2 B.
Quad-Core Cortex-A7 (BCM2836 von Broadcom, ARMv7, zumindest in der Version 1.1), 900 MHz, 512 MiB RAM, 100 MBit/s Ethernet (intern über USB angebunden), microSD-Card, Massenspeicher über USB, Video und ggf. Sound über HDMI, zusätzlich noch ein FBAS-Videoausgang (nur über ein 4pol-Miniklinke-Spezialkabel erreichbar), jede Menge I/O-Pins. Derzeitiger Preis: 35€. Komplettsystem also für etwas über 55€.
Die (goldene?) Mitte der Raspberry Pi-Modellvielfalt. Eine ganze Ecke schneller als der Original-RPi, nicht nur aufgrund seines höheren Taktes und des moderneren ARM-Cores, sondern auch weil die Speicherbandbreite erheblich verbessert wurde. In der Theorie wäre es auch die goldene Mitte bei der Kompatibilität: ARMv7 statt ARMv8 und damit bliebe das SWP-Fiasko erspart. Aber: die aktuell verkaufte RPi 2-Variante basiert nicht mehr länger auf dem Cortex-A7, sondern auf dem Cortex-A53 des Nachfolgers RPi 3. Heilige Versionsvielfalt! Version 1.2 ist die „aktuelle“ Revision, 1.1 die ursprüngliche und aus RISC OS-Sicht bessere.
Raspberry Pi 3
Auch hier: ich betrachte nur das Modell Raspberry Pi 3 B(+).
Quad-Core Cortex-A53 (BCM2837 von Broadcom, ARMv8), 1200 MHz, 1024 MiB RAM, 100 MBit/s Ethernet (intern über USB angebunden), microSD-Card, Massenspeicher über USB, Video und ggf. Sound über HDMI, zusätzlich noch ein FBAS-Videoausgang (nur über ein 4pol-Miniklinke-Spezialkabel erreichbar), jede Menge I/O-Pins. Derzeitiger Preis: 40€. Komplettsystem also für etwas über 60€.
Kaum teurer als ein Raspberry Pi 2, dafür deutlich schneller – was spricht gegen einen Kauf? Leider die ungelöste Kompatibilitätsfrage. Der Cortex-A53 gehört zu den Kernen auf Basis der ARMv8-Architektur. Und – leider schon Gewohnheit – hat uns hier ARM wieder ein Kompatibilitätsei ins Nest gelegt, diesmal wurde kurzerhand der Befehl SWP entfernt, der seit ARMv2a (ARM3) verfügbar war. Was noch schlimmer ist: eigentlich gibt es gar keinen richtigen Ersatz. Auch ungünstig: die UnixLib verwendete diesen Befehl, zahlreiche andere Software auch. Das heißt: nach 26bit->32bit und 32bit->ARMv7 steht die nächste Recompilieraktion an. Danke dafür, ARM.
Inzwischen ist die meiste noch gepflegte Software kompatibel, aber in den Weiten des Internets gibt es natürlich noch jede Menge vom alten Zeug, über das der unbedarfte Benutzer stolpern kann.
Seit März 2018 hat die Raspberry Pi Foundation nochmal nachgelegt: der RPi 3 B+ hat das Licht der Welt erblickt. Traditionell blieb der Preis unverändert. Aufgerüstet wurde vor allem die CPU (1,4 GHz statt 1,2 GHz, und mit Heatspreader ausgestattet), WLAN (uninteressant für RISC OS), und endlich ist Gigabit LAN mit an Bord – mit kleinem Haken: intern weiterhin über den einzigen USB2.0-Kanal angebunden, kann man natürlich das Gigabit nichr ausreizen. Trotzdem kann man den Geschwindigkeitsgewinn unter RISC OS deutlich spüren. Hier habe ich kurz zusammenfassend über den RPi 3 B+ berichtet und über dessen 4K-Video-Fähigkeit referiert.
ARMX6
Der ARMX6 von R-Comp ist ein Vertreter der Komplettsysteme aus dem schönen Britannien. Das Herz ist ein Freescale i.MX6, der auf einem Wandboard Quad lebt. Quad-Core Cortex-A9 (ARMv7), 1000 MHz, 2048 MiB RAM, Gigabit Ethernet (intern limitiert auf 480 MBit/s), S-ATA (ein Port).
Der ARMX6 ist insofern etwas besonderes, weil er die erste Maschine ist, die den IYONIX in praktisch jedem relevanten Punkt performancetechnisch entweder erreicht oder deutlich übertrifft. So erlaubt die Videosektion zum Beispiel auch den Betrieb bis zu 4K-Auflösungen bei 30 Hz. Der S-ATA-Port ist schneller als die UDMA100-IDE-Schnittstelle des IYONIX. Endlich gibt es wieder Gigabit Ethernet, das zudem nicht über CPU-fressendes USB angebunden ist (auch wenn intern im i.MX6 der Durchsatz auf 480 MBit/s limitiert ist, was er im IYONIX theoretisch nicht ist, aber durch die PCI-Anbindung auch nicht turboschnell war).
Aber es gibt auch Haken. Der exorbitante Preis beispielsweise. Dass nur ein S-ATA-Port verfügbar ist und man deshalb leider nur eine Platte bei anständiger Geschwindigkeit betreiben kann und nicht z.B. auch einen Blu-Ray-Brenner (ok, ein möglicherweise etwas egoistischer Kritikunkt http://www.hubersn-software.com/). Inzwischen gibt es bei ROOL aber „freie“ ROMs für das Herz des ARMX6, das Wandboard Quad. Das könnte die Sache deutlich preiswerter gestalten.
Weitere Details bei R-Comp (wobei: mehr relevante Details als in diesem kleinen Abschnitt stehen dort auch nicht).
Man sollte sich übrigens nicht zuviel vom versprochenen „impressive software bundle, comprising both commercial and custom-written software“ erwarten. Das Disc-Image ist zwar durchaus gut strukturiert und reichhaltig, besteht aber zu weiten Teilen aus der bekannten freien und kostenlosen Software der RISC OS-Welt. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich das genauer auseinanderdröseln.
IGEPv5 (und RapidO-Ig)
Das IGEPv5 von ISEE war das erste erhältliche Board auf Basis der OMAP5-Plattform von TI. Dual-Core Cortex-A15, 1500 MHz, je nach Variante 1 GiB oder 4 GiB RAM, Gigabit Ethernet, S-ATA, USB3.0. CPU-technisch zusammen mit dem Titanium die derzeitige Spitze der verfügbaren RISC OS-Hardware. Und zwar nicht nur aufgrund des höchsten Takts, sondern aufgrund der überlegenen inneren Struktur des Cortex-A15 gegenüber seinen diversen Vorgängern (und teilweise auch Nachfolgern). Der Cortex-A15-Core wird grob mit 3,5 DMIPS/MHz angegeben, der Cortex-A9 hingegen mit lediglich 2,5 DMIPS/MHz, der Cortex-A8 mit gar nur 2,0 DMIPS/MHz. Und tatsächlich zeigen die Benchmarks auch entsprechende Unterschiede. Aus ARMs Sicht war der Erfolg des Cortex-A15 durchwachsen, denn die hohe Geschwindigkeit wurde mit einem für ARM-Verhältnisse hohen Strombedarf erkauft, was in den Zielmärkten nicht auf viel Gegenliebe stieß. Aber bei einem stationären Rechner
Die USB3.0-Fähigkeit ist im Moment noch akademisch, da keine RISC OS-Treiber verfügbar sind.
CJE Micro’s bietet das IGEPv5 als Teil eines fertig konfigurierten Systems in verschiedenen Gehäusen an. CJE verwendet die 4 GiB-Variante des Boards, unter RISC OS sind derzeit 2 GiB davon nutzbar. Preise ab 725 UKP.
Der OMAP5 hält übrigens noch eine weitere Herausforderung für RISC OS bereit: die RGB-Byte-Order im Bildschirmspeicher hat sich geändert. Alle Programme, die direkt in den Bildschirmspeicher schreiben, müssen angepasst werden (beispielsweise Artworks). RISC OS-interne Mittel wie Sprites wurden natürlich angepasst. Das ist generell ein schon länger schwelendes Problem, das auf anderen Plattformen wie dem IYONIX oder schon beim Risc PC mit ViewFinder durch mehr oder weniger clevere Hardware- und Software-Tricks vermieden wurde.
Titanium (und TiMachine und RapidO-Ti)
Das Titanium-Board wurde von Elesar Ltd. (dahinter steht Robert Sprowson aka Sprow) entwickelt auf Basis der OMAP5-Plattform von TI. Dual-Core Cortex-A15, 1500 MHz, 2 GiB RAM, Gigabit Ethernet, S-ATA, USB3.0, Dual-Head DVI. Dazu 2 PCIe-Steckplätze, für die es tatsächlich auch schon eine Karte mit RISC OS-Treibern gibt – der klassische Parallel-Port. 8 MiB Flash-ROM ist auch an Bord, mehr als ausreichend für das RISC OS-Image. Es gibt 4 S-ATA-Ports, die voll von RISC OS unterstützt werden. Zwei serielle Ports sind auch noch mit dabei.
Das Board ist vom Formfaktor her ATX-kompatibel, ein entsprechendes ATX-Shield für Standardgehäuse ist erhältlich. Neben RISC OS wird auch Linux gepflegt, man kann Linux direkt aus RISC OS heraus starten. Das nackte Board gibt es für 500 UKP.
Auf Basis des Titanium-Boards gibt es fertige Systeme von CJE Micro’s (RapidO-Ti) ab 900 UKP und von R-Comp (TiMachine) ebenfalls ab 900 UKP. Deutschen Usern lege ich a4com ans Herz, dort habe ich mein Titanium-System zusammenbauen lassen.
Schön am Titanium-Board: man kann direkt von RISC OS Open Ltd. die RISC OS-Images holen, alles ist komplett offen, vom Ethernet-Treiber bis zum neuen ADFS mit S-ATA-Unterstützung.
Ein Haken ist die eher sparsame Unterstützung für zeitgemäße Bildschirmauflösungen. Bei Full-HD ist quasi Ende bezüglich der gängigen Auflösungen, weder QHD noch 4K werden unterstützt. Aber: das Dingens unterstützt Dual Head. Mit bestimmten Monitoren, der zwei Videoeingänge „side by side“ darstellen können, gehen dann doch wieder 4K – habe ich aber noch nicht selbst geprüft.
Hier habe ich von meinen ersten Erfahrungen mit dem Titanium berichtet.
BeagleBoard-xM
Der Urvater der RISC OS-geeigneten SBCs (ok, das nicht-xM-Modell ist noch uriger). TI OMAP3 Cortex-A8 (ARMv7), 1000 MHz, 512 MiB RAM, 100 MBit/s Ethernet (intern über USB angebunden), microSD-Card, Massenspeicher über USB, Sound nur analog, zusätzlich noch ein SVideo-Videoausgang. Derzeitiger Preis: knapp über 150€. Das einzige einfach erhältliche Gehäuse liegt bei 8€, dazu ein 5V-Netzteil mit 2,5mm-Hohlstecker für etwa 10€, eine kleine microSD-Karte (denn da kommt nur das OS drauf) und ein USB-Stick als Massenspeicher, fertig ist das Komplettsystem.
Während die CPU und die Hauptspeichergröße sicher auch heute noch ausreichend für die allermeisten RISC OS-Aufgaben ist, so zeigt die Video-Sektion ihre Schwächen – bei der heute üblichen Full-HD-Auflösung 1920×1080 erreicht das BeagleBoard nur maximal 30 Hz, und das fressen leider nicht alle Monitore. Aus meiner Sicht ist daher das BeagleBoard nicht mehr empfehlenswert, der Raspberry Pi 2 kann eigentlich alles besser. Zudem ist das BeagleBoard-xM auch nur noch schwer erhältlich, weil der Rest der Welt inzwischen das preiswertere BeagleBone Black verwendet, für das aber keine RISC OS-Portierung verfügbar ist.
PandaBoard ES
Der Nachfolger des BeagleBoard. TI OMAP4 mit Dual-Core Cortex-A9 (ARMv7), 1200 MHz, 1024 MiB RAM, 100 MBit/s Ethernet (intern über USB angebunden), SD-Card, Massenspeicher über USB, Sound über HDMI oder analog. Derzeitiger Preis: rund 200€. Dazu ein 5V-Netzteil mit 2,5mm-Hohlstecker für etwa 10€, eine SD-Karte dazu, fertig ist das Komplettsystem – allerdings „nackt“, weil es m.W. derzeit kein preiswertes, fertiges Gehäuse für das gute Stück gibt. Also schnell noch bei a4com ein PIK (Pandaboard-in-Kiste) kaufen.
CPU-technisch ist das PandaBoard ES immer noch sehr gut bestückt. Die Video-Sektion meistert die 1920×1200 bei den üblichen 60Hz ohne Probleme, dann ist aber Schluss. Die Goodies Dual-Head, Bluetooth und WLAN sind unter RISC OS nicht nutzbar.
200€ fürs nackte Board, da muss man schon schlucken – in Anbetracht des nicht sonderlich langsameren Raspberry Pi 2, der zudem sehr breite Unterstützung durch Dritthersteller hat, fällt es schwer, hier eine Empfehlung auszusprechen. Auch die Verfügbarkeit ist eher mau – beim Distributor Digi-Key ist derzeit eine Lieferzeit von 16 Wochen anberaumt. Und die offizielle PandaBoard-Webseite ist auch nicht mehr existent. Keine zukunftsträchtige Empfehlung.
Fazit
Die Qual der Wahl – wann hatte man die schon mal in der langen RISC OS-Geschichte? Meine Empfehlung: überlegen, wo die persönliche Priorität liegt. Preis? CPU-Performance? I/O-Performance? 4K Video? Kompatibilität? Zum Einstieg tut es sicher ein RPi B+, oder bei mehr Experimentierfreude auch ein RPi 3 B+. Wer dann dringend mehr I/O-Performance benötigt, kann sich die preisintensiveren Angebote anschauen.
Alle genannten Plattformen sind übrigens inzwischen dank Adrian Lees Aemulor-tauglich.